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Vergleich der Zahngesundheit der Erstklässler vor und nach der Corona-Pandemie im Bereich der AGZ Mayen-Koblenz

 Es gibt Befürchtungen und auch Berichte, dass sich der Gebisszustand der Kinder während der Corona-Pandemie verschlechtert hat – Lockdown, ausgebliebene Zahnarztbesuche, fehlende Prophylaxe-Impulse, verstärkter Süßigkeiten-Konsum aus Langeweile oder Frust mögen nur einige der möglichen Gründe darstellen. Von manchen Gesundheitsämtern wird aus Einschulungsuntersuchungen eine Zunahme von Übergewicht/Adipositas berichtet (Beispiel: Region Hannover), was allerdings auch mit Bewegungsmangel zusammenhängen kann. Inzwischen wird nach Wiederaufnahme schulzahnärztlicher Untersuchungen aus anderen Regionen Deutschlands sporadisch tatsächlich eine deutliche Verschlechterung des Zahnzustandes von Schulkindern berichtet (Beispiel: Unna). Seitens der LAGZ Rheinland-Pfalz e.V. wurde versucht, die vorübergehende Aussetzung der paten- und schulzahnärztlichen Betreuung durch andere Aktionen zu kompensieren, sobald die Kitas und Schulen nach dem Lockdown wieder öffneten, einschließlich Impulsen zum Besuch des Hauszahnarztes.

Die AGZ Mayen-Koblenz/Koblenz umfasst mit Großstadt, Großstadt-Umland, Kleinstädten, aber auch sehr ländlich geprägten Regionen alle in Rheinland-Pfalz vorkommenden Sozialräume und bildet ca. 8 % der Gesamtbevölkerung von Rheinland-Pfalz ab. Insofern kann diese AGZ, in der eine weitergehende Auswertung der Daten aus den schulzahnärztlichen Erstklässler-Untersuchungen erfolgt, als recht repräsentativ für Rheinland-Pfalz angesehen werden.

Vor dem Hintergrund der befürchteten Verschlechterung der Zahngesundheit durch die Pandemie verglichen wir die Ergebnisse aus den Erstklässler-Untersuchungen im Schuljahr 2022/23 mit jenen aus 2018/19 (Grundschulen Normal- und Aktivprogramm, ohne Förderschulen). Das Schuljahr 2018/19 wurde deshalb als Vergleichsgrundlage ausgewählt, weil in 2019/2020 bereits eine nicht unbedeutende Anzahl von Untersuchungen wegen der Corona-Pandemie bei uns ausgefallen war.

Trotz der Sondersituation eines dualen Modells für das Schuljahr 2022/2023 (entweder Untersuchung in der Schule oder Verweisung zum Hauszahnarzt im Herbst 2022) wurden im Zuständigkeitsbereich der AGZ Koblenz/Mayen-Koblenz 2231 Erstklässler in 63 Grundschulen untersucht, so dass verwertbare Zahlen vorliegen. 

Da es seit 2018/2019 bis zur Wiederaufnahme der Untersuchungen 2022 auch zu einigen Untersucher-Wechseln kam, beschränken wir uns beim Vergleich der beiden Untersuchungsjahre auf jene Schulen, die jeweils vom gleichen Zahnarzt/Zahnärztin untersucht worden waren, um mögliche Einflüsse von Untersucherbias durch unkalibrierte Untersucher auszuschließen. Somit konnten 49 Grundschulen mit 1771 untersuchten Erstklässlern in 2022/2023 und 1525 untersuchten Erstklässlern in 2018/2019 in den Vergleich einfließen.  

Die wichtigsten Indikatoren (2022/23 im Vergleich mit 2018/2019):

Anteil der Naturgesunden: 65,0 % statt 63,6 %

Anteil der Behandlungsbedürftigen: 24,1 % statt 23,8 %

Anteil der vollständig Sanierten*: 10,1 % statt 11,3 %

dmf-t-Index der Stützzonen: 1,161 statt 1,212

d-t (kariöse Milchzähne) - Stützzone: 0,658 statt 0,671

f-t (gefüllte Milchzähne) - Stützzone: 0,286 statt 0,346

Sanierungsgrad der Stützzone (mf-t/dmf-t): 43,3 % statt 44,6 %

D-T-Index (kariöse bleibende Zähne): 0,046 statt 0,028

DMF-T-Index: 0,052 statt 0,033

Anteil Kinder mit kariösen bleibenden Zähnen: 2,8 % statt 1,6 %

Anteil Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko: 8,5 % statt 7,3 %

*ohne den geringen Anteil der Kinder, die mit kariösen Gebissen diagnostiziert wurden, für die aber kein Behandlungsbedarf mehr gesehen wurde (bald ausfallende kariöse Milchschneidezähne)

 Es zeigt sich eine geringe Zunahme des Anteils der Naturgesunden um 1,4 %; der Anteil der Behandlungsbedürftigen blieb ungefähr konstant, der Anteil vollständig Sanierter ging um 1,2 % zurück. Der dmf-t-Index der Milchgebiss-Stützzonen (d.h. ohne Milchschneidezähne) verbesserte sich um 4,2 %. Der Rückgang war bei den kariösen Milchzähnen der Stützzone mit 1,9 % geringer als bei den gefüllten Milchzähnen (-17,3 %); dementsprechend ging auch der Sanierungsgrad der Stützzonen leicht um 1,3 % auf 43,3 % zurück. Für das Milchgebiss lässt sich somit ein leichter Rückgang der Kariesprävalenz bei gleichzeitiger leichter Abnahme des Sanierungsgrades konstatieren.

Bei den bleibenden Zähnen zeigt sich dagegen eine Zunahme der Kariesprävalenz, wenn auch ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau. Die Anzahl der kariösen bleibenden Zähne pro Kind (D-T) stieg von 0,028 auf 0,046 um immerhin 64 %, der DMF-T-Index um 58 %. Da Kinder mit kariösen bleibenden Zähne in der hier diskutierten Altersgruppe auch immer Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko darstellen (gemäß DAJ-Definition), stieg auch der Anteil der Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko von 7,3 % auf 8,5 % um 1,2 % - also genau um jene 1,2 %, um die auch der Anteil der Kinder mit kariösen bleibenden Zähne zunahm.

Die leichte Zunahme des Anteils der Naturgesunden bei gleichzeitiger Zunahme von Kariesbefall an bleibenden Zähnen und beim Anteil der Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko deuten auf eine Zunahme der Polarisierung der Kariesverteilung hin.

Dieser Effekt muss aber nicht zwangsläufig auf Corona zurückgeführt werden, zumal er dem günstigen Trend bei den Milchzähnen zuwiderläuft. D-T- und DMF-T-Werte sind in dieser Altersgruppe in Deutschland sehr migrationssensibel, vor allem hinsichtlich kurzfristiger Migrationseffekte, u.a. weil die meisten der frisch zugezogenen Kinder im Heimatland nicht, wie in Deutschland etabliert, Zugang zu einer routinemäßigen Versorgung mit Fissurenversiegelungen der 6-Jahr-Molaren oder anderen Prophylaxemaßnahmen hatten. Der Anstieg der Anzahl der untersuchten Erstklässler in den 49 hier betrachteten Grundschulen zwischen 2018/19 und 2022/23 um 16,1 % kann allerdings nicht ausschließlich auf Migrationseffekte zurückgeführt werden, weil auch die Zunahme der Geburten in Deutschland zwischen den beiden betrachteten Schülerjahrgängen in dieser Größenordnung liegt.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Untersuchungen 2022/2023 bei uns schwerpunktmäßig in der 2. Schuljahreshälfte erfolgten; manche Schulen wurden erst kurz vor den Sommerferien untersucht. Im Vergleich zu den Untersuchungen 2018/19 war die Altersstruktur der Untersuchten also nach oben verschoben. Dies erhöht die Expositionsdauer der Sechsjahrmolaren gegenüber kariogenen Einflüssen und damit das Risiko, dass bei den (im Durchschnitt diesmal späteren) Untersuchungen jetzt eher Karies an Sechsjahrmolaren entdeckt wird.  Schneidezähne der 2. Dentition waren nicht von Karies betroffen.  Einen solchen Alterseffekt gibt es zwar auch bei Milchzähnen; er ist aber wegen der insgesamt längeren Expositionsdauer der Milchzähne bis zur Untersuchung relativ schwächer ausgeprägt.

Die Corona-Pandemie hatte daher – jedenfalls im Zuständigkeitsbereich unserer AGZ – keinen eindeutig erkennbaren negativen Einfluss auf die Zahngesundheit im Kindergarten-Alter, wie die Erstklässler-Untersuchungen zeigen. Die Kariesprävalenz der Milchzähne ging sogar leicht zurück, der Anteil der Naturgesunden stieg.

Der Migrationshintergrund der Kinder wird im Rahmen der zahnärztlichen Untersuchungen (anders als bei den Schuleingangsuntersuchungen) selbstverständlich nicht erhoben, aber der Gesamteindruck (u.a. auch aufgrund der Namen der Kinder, die im Rahmen des Erinnerungssystems angeschrieben werden mussten) spricht dafür, dass die Zunahme der Kariesprävalenz bei bleibenden Zähnen und auch beim Anteil der Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko primär auf aktuellen Migrationseffekten beruht und nicht als Corona-Folge zu sehen ist.

Allerdings steht bei uns kein geeignetes Datenmaterial zur Verfügung, um zu untersuchen, ob diese vergleichsweise milden Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Zahngesundheit (milder als ursprünglich befürchtet und zum Teil auch als aus anderen Regionen berichtet) auch für Schulkinder höherer Altersgruppen gelten, da schulzahnärztliche Untersuchungen in höheren Klassen in Rheinland-Pfalz nur in risikoorientiert selektierten Schulen (Förderschulen, Aktivprogramm-Schulen) erfolgen, die nicht für die gesamte Schülerschaft einer Region oder das Bundesland repräsentativ sind.

Besonderer Dank gilt den 15 untersuchenden Zahnärztinnen und Zahnärzten der 49 Grundschulen, die mit ihrem Einsatz und den von ihnen in 2018/19 und 2022/23 erhobenen Daten diesen Vergleich möglich gemacht haben.

 

Dr. Reinhard Steinmeyer




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